Interview
Tarifeinführung mit System und Weitsicht:
Ein Praxisbericht
Wie das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg erfolgreich die PTG-Tarifverträge eingeführt hat
Ein tariflich geregeltes Gehalt, klare Eingruppierungen und ein verlässlicher Rahmen für Arbeitgeber und Beschäftigte – die Einführung eines Tarifvertrags kann für soziale Einrichtungen eine große Chance sein. Doch wie läuft eine solche Umstellung in der Praxis ab? Welche Herausforderungen gibt es? Und lohnt sich der Aufwand? Darüber haben wir mit Friedemann Schweizer, Personalleiter beim Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, gesprochen. Er gibt spannende Einblicke in den Prozess und erklärt, warum sich die Entscheidung für das PTG-Tarifvertragswerk ausgezahlt hat.
Herr Schweizer, wie viele Beschäftigte wurden in das PTG-Tarifvertragswerk überführt?
In unseren beiden Gesellschaften, dem Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg und der Wohlfahrtswerk Altenhilfe gGmbH, waren rund 1.500 Mitarbeitende betroffen – darunter 50 Auszubildende und 250 Minijobber. Wir haben dabei keinen Unterschied gemacht, ob jemand Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Zusätzlich haben wir in einer weiteren Gesellschaft etwa 150 Mitarbeitende per Einzelvertrag in die neuen tariflichen Regelungen integriert.
Gab es einen Betriebsrat, der in die Einführung einbezogen wurde?
Zunächst einmal ist zu erwähnen, dass beide Gesellschaften Einrichtungen mit 50 bis 200 Beschäftigten an unterschiedlichen Standorten betreiben. Einzelne Einrichtungen haben einen Betriebsrat – andere nicht. Darüber hinaus gibt es einen Gesamtbetriebsrat, der die Einrichtungen vertritt.
Der Gesamtbetriebsrat wurde frühzeitig über die geplante Einführung informiert. Durch die Teilnahme von zwei Betriebsratsmitgliedern auf Bundesebene sowie vier Betriebsratsmitgliedern auf Landesebene waren die Betriebsräte in den Tarifverhandlungen jederzeit auf Augenhöhe eingebunden. Das erleichterte den schnellen Austausch.
Auch bei der Eingruppierung wurde der Betriebsrat eng einbezogen und über die von uns – also vom Arbeitgeber – getroffenen internen Vorstellungen informiert. Da die Vergütungen einheitlich in allen Einrichtungen umgesetzt wurden, gab es in den Anhörungsverfahren keine Widersprüche – höchstens vor der Zustimmung Diskussionen zu einzelnen Fällen. In diesen Fällen fanden Gespräche mit den Personalreferentinnen oder der Personalleitung statt, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten – insbesondere in Bezug auf Eingruppierungsabsichten, Vorerfahrungen und Stufensprünge.
Wie sind Sie mit bereits vor Tarifeinführung bestehenden Betriebsvereinbarungen umgegangen?
Insgesamt gibt es viele Regelungen zu den Systemen, zur Handhabung der Arbeitszeit sowohl als Einzelbetriebsvereinbarungen oder als Gesamtbetriebsvereinbarungen. Die Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarungen gelten für alle Standorte, auch für diejenigen ohne Betriebsrat. Im Jahr der Einführung des Tarifvertrags wurden 14 Gesamtbetriebsvereinbarungen geändert, für nichtig erklärt oder als Ableitung aus dem Tarifvertrag neu formuliert. Die betriebliche Regelungsintensität wurde insgesamt geringer, da viele Punkte abschließend im Tarifvertrag geregelt sind.
Wie lange hat die Umsetzung des Tarifvertrags gedauert?
Von der ersten Rohfassung des Tarifvertrags bis zur ersten Gehaltsabrechnung mit den neuen Regelungen vergingen genau fünf Monate. Das war sportlich, aber mit einer guten Planung und Zusammenarbeit machbar.
Wie haben Sie die Beschäftigten über die Tarifeinführung informiert und einbezogen?
Kommunikation war ein zentraler Erfolgsfaktor. Zunächst wurden die Führungskräfte informiert, damit sie das Wissen in ihre Teams weitergeben konnten. Danach haben wir den Gesamtbetriebsrat eingebunden und deutlich gemacht, dass mit dem Tarifvertrag die Vorgaben des GVWG (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz) umgesetzt werden sollen.
Zusätzlich haben wir alle relevanten Informationen vorab im Intranet veröffentlicht. Drei Monate vor der Einführung gab es umfassende Schulungen für die Verantwortlichen der Einrichtungen. Anschließend haben wir in rund 20 Einrichtungsversammlungen mit Vorstand und Personalleitung die Inhalte vorgestellt und offene Fragen geklärt.
Einen Monat vor dem Start erhielten alle Beschäftigten ihren neuen Arbeitsvertrag und hatten vier Wochen Zeit, sich zu entscheiden, ob sie ihn individuell annehmen. Die Betriebsräte in den jeweiligen Einrichtungen erhielten eine Übersicht über alle Arbeitsverträge mit alten und neuen Entgeltwerten und konnten damit nachvollziehen, welche finanziellen Änderungen sich ergeben würden. Diese Übersicht wurde als Massenanhörung genutzt und nach geringfügigen Änderungen auch für die jeweiligen Einrichtungen bestätigt.
Wie wurde der neue Tarifvertrag von den Beschäftigten aufgenommen? Gab es Vorbehalte oder Widerstand?
Die Akzeptanz war insgesamt hoch, allerdings gab es zu Beginn auch einige Fragen und Unsicherheiten. Deshalb haben wir Sprechstunden eingerichtet, in denen Personalreferenten individuelle Fragen beantworteten. Im Zuge der Entgeltumstellung wurde eine spezielle E-Mail-Adresse für Fragen an die Personalabteilung eingerichtet. Eingehende Fragen wurden gebündelt, und gleichlautende Fragestellungen erhielten eine einheitliche Antwort. Außerdem waren wir bei Sitzungen der Betriebsräte in den Einrichtungen dabei, um Bedenken direkt zu besprechen und Lösungen zu finden.
Gab es Konflikte bei der Eingruppierung der Mitarbeitenden?
Konflikte traten nur in sehr wenigen Fällen auf. Insgesamt gab es fünf Eingruppierungsfälle, die von ver.di bearbeitet wurden. Nach einigen Monaten Erfahrung und klärenden Gesprächen konnten alle Fälle zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst werden.
Welche Herausforderungen gab es bei der technischen Umsetzung?
Unsere IT musste umfassend angepasst werden, weil alle Lohnarten und Personalprogramme neu definiert werden mussten. Das haben wir parallel zu den Tarifverhandlungen umgesetzt – was einen hohen Koordinationsaufwand bedeutete. Besonders herausfordernd war die Berechnung der Sonderzahlungen, weil es kurzfristig Änderungen auf Bundesebene gab.
Um unsere Personalreferenten und Lohnabrechner fit für das neue System zu machen, gab es mehrere Schulungen und wöchentliche Abstimmungsrunden. So konnten wir sicherstellen, dass die Abrechnungen von Anfang an korrekt liefen.
Wie haben Sie die Unterstützung durch den Paritätische Tarifgemeinschaft e. V. erlebt?
Wir haben uns durch den PTG e. V. während des gesamten Prozesses gut beraten gefühlt. Besonders der Austausch während der Verhandlungen hat uns geholfen, die Umsetzung klar zu strukturieren.
Die zur Verfügung gestellten Arbeitsvertragsmuster wurden genutzt und von unserem Anwalt auf die Bedürfnisse unserer Gesellschaften angepasst sowie perfektioniert. Dabei wurden die Personaler kontinuierlich in den fachlichen Austausch zur Optimierung der Verträge eingebunden. Ein stringenter Projektplan mit wochenweiser Aktualisierung war unabdingbar, um den komplexen Prozess effizient zu steuern. Das Berechnungstool des Verbands konnten wir leider nicht nutzen, da die Massenanwendung der Eingruppierung mit einer speziell für das Wohlfahrtswerk entwickelten Datei gelöst werden musste.
Welche Herausforderungen gab es bei der Eingruppierung der Beschäftigten?
Die Eingruppierung war eine der zentralen Herausforderungen, da einige tarifliche Regelungen unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Insbesondere die genaue Abgrenzung der Tätigkeitsmerkmale und die Interpretation der Stufenregelungen haben Fragen aufgeworfen. Um eine einheitliche und transparente Umsetzung zu gewährleisten, wurden die Eingruppierungen zunächst unter den Referentinnen abgestimmt und wöchentlich aktualisiert. Daraus entstand eine eigene Zuordnungsdatei mit Eingruppierungsbeispielen.
Nach einer intensiven Schulung durch die Personalleitung wurden die Vorgesetzten eingebunden und mussten die Einstufungen verifizieren. Hierbei halfen auch die Schulungen des PTG e. V., die an die spezifischen Gegebenheiten des Wohlfahrtswerks angepasst wurden. Eine enge Abstimmung mit den Referentinnen hat die Einstufungsaufgabe zusätzlich beschleunigt.
Besondere Herausforderungen ergaben sich bei der Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten und Unterbrechungen. Grundsätzlich wurden Vorbeschäftigungszeiten so behandelt wie in der Vergangenheit: Wer bereits eine Anerkennung hatte, bekam diese Zeiten weiterhin angerechnet, ansonsten nicht. Bei Unterbrechungen wurde zugunsten der Mitarbeitenden großzügiger verfahren – etwa bei Elternzeiten. Dies war der Komplexität des Projekts geschuldet, sodass in Einzelfällen mehr Zeiten berücksichtigt wurden, als der Tarifvertrag vorsah. Seit Sommer 2024 wird nun jedoch strikt nach den tariflichen Vorgaben verfahren. Allerdings wurden die entsprechenden Regelungen teilweise als kompliziert und schwer verständlich empfunden.
Ein weiteres Problem ergab sich bei der Eingruppierung der einjährig examinierten Pflegefachkräfte, insbesondere im Bereich der Demenzbetreuung. Hier gibt es nach wie vor Diskussionen, insbesondere wenn sich der Anteil der demenzkranken Bewohner in einer Einrichtung über die Zeit verändert. Der Tarifvertrag enthält dazu keine eindeutigen Festlegungen, was zu Unsicherheiten führt.
Gibt es etwas, das Ihr Arbeitgeberverband noch verbessern könnte?
Ja, es wäre hilfreich, wenn es für neue Führungskräfte regelmäßig Schulungen zu den wichtigsten Tarifregelungen gäbe – etwa zweimal im Jahr als Online-Format. Außerdem sollte der PTG e. V. noch stärker auf die Vorteile des Tarifvertrags hinweisen, insbesondere auf die finanziellen Verbesserungen für Pflegefachkräfte.
Welche Tipps würden Sie anderen Mitgliedsunternehmen geben, die den PTG-Tarifvertrag einführen möchten?
Es ist wichtig, alle bestehenden Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub zu überprüfen. Das kann auch schrittweise geschehen, aber sollte frühzeitig eingeplant werden.
Die Einbindung von Führungskräften, Mitarbeitenden und Betriebsräten ist entscheidend – wer alle Beteiligten rechtzeitig ins Boot holt, vermeidet später Konflikte. Außerdem hilft ein realistischer Projektplan mit klaren Zuständigkeiten dabei, den Überblick zu behalten.
Ihr Fazit: Lohnt sich die Einführung des PTG-Tarifvertrags?
Definitiv! Wer sich vom TVöD verabschieden und weiterhin erfolgreich in der Pflege arbeiten möchte, für den ist das PTG-Tarifvertragswerk eine gute Wahl. Besonders die Arbeitszeitabsenkung für ältere Mitarbeitende ist ein großer Vorteil – man muss nur betriebliche Lösungen dafür finden.
Aber: Wer sich generell vor Veränderungen scheut, sollte besser die Finger davon lassen!
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg zählt zu den großen Trägern der Altenhilfe im Bundesland. An über 20 Standorten mit rund 1.900 Beschäftigten betreibt es Einrichtungen, die die gesamte Bandbreite von Dienstleistungen für ältere Menschen abdecken – vom Pflegeheim über Betreutes Wohnen und Senioren-Wohngemeinschaften bis hin zur Unterstützung beim Wohnen zu Hause. Daneben existieren auch spezielle Pflegebereiche für junge Menschen.